Rede von Fraktionsvorsitzender Maximilian Friedrich anlässlich der Beratungen des Kreishaushalts 2022 in Waiblingen am 15.11.2021

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Sigel,
sehr geehrter Herr Finanzdezernent Schäfer,
werte Kolleginnen und Kollegen des Kreistags,
verehrte Zuhörer und Gäste,

der Kreishaushalt 2022 ist ein sehr gelungener und ansprechender Haushaltsplan – zumindest was das Titelbild mit dem Backnanger Stadtturm und der städtischen Galerie betrifft. Der Haushaltsplanentwurf genügt dabei aber nicht nur optisch gehobenen Ansprüchen, sondern er beinhaltet auch zahlreiche Zukunftsthemen und Herausforderungen unserer Zeit. Er ist damit auch Ausdruck des guten Miteinanders zwischen Rems und Murr sowie zwischen dem Landkreis und der kommunalen Familie.

Was unsere Einnahmen betrifft, sind wir als Rems-Murr-Kreis bislang erstaunlich gut durch die Pandemie gekommen. Ein Überschuss von mehr als 21 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2020 sowie Ergebnisverbesserungen von voraussichtlich mindestens 2,4 Millionen Euro im aktuellen Jahr 2021 geben uns Rückenwind, zudem steigen die Pro-Kopf-Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden im Durchschnitt bei uns mit 8 % weit stärker als im Vergleich zu den übrigen Kommunen in der Region Stuttgart an.

Sorgen bereiten uns hingegen die steigenden Nettosozialaufwendungen. So erhöhen sich alleine die Zuschussbedarfe für die Sozialleistungen sowie für die Soziallastenausgleiche um 16 bzw. 6 Millionen Euro und schlagen mit über 22 Millionen Euro negativ gegenüber 2021 zu Buche.

Als im Jahre 2009 die Wirtschafts- und Finanzkrise das alles bestimmende Thema war, reagierte die seinerzeitige Bundesregierung entschlossen. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wird in einem Interview der Stuttgarter Zeitung wie folgt zitiert:

„Vielleicht müssen wir uns mit einer Erkenntnis aus der Bibel anfreunden, wonach auf fette Jahre auch mal magere folgen. Auch daraus kann man Optimismus schöpfen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bei den Städten und Gemeinden sind die mageren Jahre definitiv angekommen. Das Haushaltsjahr 2022 ist für die Rems-Murr-Kommunen ohne jegliche Übertreibung oder Schwarzmalerei ein „Annus horribilis“ und es dürfte nahezu keine Kommune geben, welcher der doppische Haushaltsausgleich im nächsten Jahr gelingt. Um es klar zu sagen: Die kommunalen Haushalte sind in 2022 extrem angespannt. Eine etwaige Erhöhung des Kreisumlagehebesatzes auf mehr als die derzeit vorgesehenen 31,0 % kann und wird die Kreistagsfraktion der Freien Wähler nicht mittragen.

Wir beantragen die derzeitigen Kürzungen im Sozialetat in Höhe von 3,0 Millionen Euro durch eine entsprechende Erhöhung des Ansatzes bei den Einnahmen der Grunderwerbsteuer zu kompensieren. Das Grunderwerbsteueraufkommen in gleicher Höhe zu belassen wie im Jahr 2021 halten wir in Anbetracht der Preisentwicklungen auf dem Immobilienmarkt für nicht gerechtfertigt.

Angesichts der guten Einnahmenentwicklung wäre unseres Erachtens eine weitere Hebesatzsenkung bei der Kreisumlage ohne Probleme möglich gewesen, wenn die Gesetzgeber in Bund und Land unseren Landkreis nicht abermals bei der Konnexität im Regen stehen gelassen hätten.

Dies gilt auch und insbesondere für unsere Kliniken. Unsere Beschäftigten erleben gerade eine vierte Welle, in der erneut vor allem ungeimpfte Personen schwer erkranken und auf den Intensivstationen behandelt werden müssen. Die Verkündigung der „Alarmstufe“ steht unmittelbar bevor und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind am Limit. Wir begrüßen deshalb alle Anstrengungen für niederschwellige Impfangebote und danken der Landkreisverwaltung, die gemeinsam mit den Städten und Gemeinden sowie mit unseren Kliniken im Führungsstab um Dr. Peter Zaar und Stefan Hein bzw. im Gesundheitsamt einen phänomenalen Einsatz leisten!

Meine Damen und Herren,

die neue Bundesregierung ist aufgerufen und auch gefordert sowohl für eine auskömmliche Finanzausstattung zu sorgen, ohne die alle Zukunftsthemen unserer Zeit ansonsten nicht finanzierbar und damit auch nicht umsetzbar sein werden, sowie die Impfquoten deutlich zu erhöhen. Denn die Impfung ist nach wie vor der beste Schutz vor einer schweren Erkrankung und damit sowohl Eigenvorsorge als auch gelebte Solidarität mit allen Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern im Gesundheitswesen.

Die Kehrseite der Entwicklung einer fehlenden Konnexität ist die prognostizierte Schuldenentwicklung in den kommunalen Haushalten. Angesichts der guten Vorjahresergebnisse sowie der zahlreichen Investitionen in die Zukunft halten wir diese Entwicklung zwar für ärgerlich, aber noch für vertretbar, zumal unsere Kreistagsfraktion der Überzeugung ist, dass die tatsächlichen Rechnungsergebnisse erneut besser ausfallen werden und die Entwicklung nicht so negativ eintreten wird wie befürchtet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit der Umsetzung der Immobilienkonzeption am Standort Waiblingen, der Wohnraumoffensive, den Investitionsoffensiven in Kreisstraßen, Radwege und ÖPNV, den Maßnahmen an unseren Kreisberufsschulen, der Stärkung des Brand-, Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes sowie einer digitalen und klimaneutralen Verwaltung stellt sich unser Landkreis den aktuellen Themen und Herausforderungen. Wir sehen den Rems-Murr-Kreis insgesamt gut aufgestellt und anerkennen den großen persönlichen Einsatz unseres Landrats und der Kreisverwaltung. Aber auch in den kreiseigenen Unternehmen wie der Kreissparkasse, der Kreisbaugruppe, der AWRM und den Kliniken haben wir uns umfangreiche Aufgaben vorgenommen. Ein Lob sei an dieser Stelle explizit an die Beschäftigten im Gesundheitswesen gerichtet, die nach wie vor weit über das übliche Maß hinaus gefordert sind. Das verdient unsere Anerkennung und unseren Respekt.

Vor eine große Gemeinschaftsaufgabe werden uns die erneut stark steigenden Flucht- und Migrationszahlen stellen. Die aktuellen Bilder entlang der polnisch-belarussischen Grenze zeigen den nach wie vor ungelösten europäischen Konflikt in dieser Frage deutlich auf. Wir beantragen einen zeitnahen Sachstandsbericht unter Berücksichtigung der Vorgaben des Landes, den Kapazitäten in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen sowie mit einer Prognose der voraussichtlichen Zuweisungszahlen für das kommende Jahr.

Ebenfalls als Gemeinschaftsaufgabe aller staatlichen Institutionen verstehen wir den Klimaschutz. Wir beantragen einen Sachstandsbericht hinsichtlich der aktuellen Förderproblematik für die Kommunen im Rems-Murr-Kreis aufgrund des geförderten kreisweiten Klimaschutzkonzepts sowie Vorschläge der Landkreisverwaltung zur Lösung dieser Frage. Darüber hinaus beantragen wir einen Bericht zur Auswirkung der geplanten Umrüstung des Drehfunkfeuers Luburg auf die regionalen Vorranggebiete für Windkraftanlagen im Rems-Murr-Kreis sowie die Beantwortung der offenen Frage, wie sich der Landkreis bzgl. der notwendigen Änderungen der Verordnungen der Landschaftsschutzgebiete positioniert. Um es klar zu sagen: Der Ausbau der regenerativen Energien vor Ort ist angesichts der aktuellen Entwicklungen notwendiger denn je und verdient unsere Unterstützung.

Zur Steigerung der Transparenz unserer Gremienarbeit beantragen wir zudem die Veröffentlichung aller öffentlichen Sitzungsprotokolle ab dem 01.01.2022.

Im Hinblick auf das Modellvorhaben zum regionalen Glasfaserausbau beantragen wir einen Sachstandsbericht des Zweckverbands Breitbandausbau Rems-Murr insbesondere zum aktuellen Grad der Zielerreichung sowie zu den weiteren geplanten Ausbaumaßnahmen. Hierbei bitten wir darum aufzuzeigen, inwiefern auch Kooperationen mit kommunalen Stadtwerken im weiteren Prozess angestrebt werden.

Bei der Frage zur Einführung eines Mobilitätspasses bitten wir die Verwaltung um enge Abstimmung innerhalb der Region Stuttgart. Wir Freien Wähler verstehen das Vorgehen des Landes, Verbesserungen im Nahverkehr zu bestellen und diese Wohltaten, die das Land verspricht, über eine Abgabe finanzieren zu lassen, für die die Kommunen geradestehen müssen, als einen Tabubruch. Dagegen muss sich die kommunale Familie wehren und das Land muss an das Konnexitätsprinzip erinnert werden, das heißt: „Wer bestellt, bezahlt!“. Damit wollen wir nicht sagen, dass wir gegen den Ausbau des ÖPNVs sind. Aber wir sind dagegen, dass die Kommunen und Kreise zum Handlanger des Landes werden, das sich die Finger nicht schmutzig machen möchte und eine neue Steuer galant den Kommunen zuschiebt. Wir beantragen deshalb eine gemeinsame Klausur der Landkreise mit der Landeshauptstadt und dem Verband Region Stuttgart im VVS-Bereich zur Abstimmung des weiteren Vorgehens.

Explizit von uns begrüßt wird der Einsatz des Landkreises beim sozialen Wohnungsbau. Wir beantragen den nächsten Wohnraumgipfel schwerpunktmäßig auf die Frage des bezahlbaren Wohnungsbaus zu fokussieren und dabei zu prüfen, in welchem Umfang über die Internationale Bauausstellung und andere Maßnahmen in den kommenden Jahren weiterer öffentlich geförderter Wohnraum geschaffen werden kann. Denn die Wohnraumfrage ist die soziale Frage unserer Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Einen verstärkten Einsatz unseres Landkreises wünschen wir uns bei der Lösung der sich zunehmend abzeichnenden Versorgungsproblematik mit Haus- und Fachärzten, vor allem Kinderärzten. In vielen Kommunen ist das Missverhältnis bereits heute offensichtlich und angesichts der demographischen Entwicklung bedarf es keiner allzu großen Fantasie um festzustellen, dass das Delta zwischen Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten immer größer werden wird, wenn wir nicht handeln. Wir beantragen einen Sachstandsbericht zur aktuellen Versorgungssituation im Landkreis sowie die Aufzeigung verschiedener Lösungsansätze unter Berücksichtigung einer kreisweiten MVZ-Konzeption.

Die geplante Waldakademie sowie der Erwerb der notwendigen Staatsforstflächen wird von uns unterstützt, auch wenn es sich hierbei um eine klassische Freiwilligkeitsleistung handelt. Nichtsdestotrotz stellt diese Investition eine sinnvolle Erweiterung unserer örtlichen Bildungslandschaft dar, von der viele Schülerinnen und Schüler in den nächsten Jahrzehnten profitieren werden.

Meine Damen und Herren,

im Namen unserer Kreistagsfraktion darf ich mich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit im Jahr 2021 bedanken.

Wir Freien Wähler verstehen uns selbst als Vertreter der kommunalen Basis und sind der Überzeugung, dass es vor allem darum gehen sollte, im guten Miteinander die jeweils besten Lösungen für uns vor Ort zu finden. Dass uns dies in der Pandemie bislang weitestgehend gelungen ist, ist maßgeblich dem intensiven Einsatz und den großen Bemühungen der Landkreisverwaltung sowie den Städten und Gemeinden mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verdanken.

Wir danken Ihnen Herr Landrat Dr. Sigel für Ihren großen persönlichen Einsatz sowie der gesamten Kreiskämmerei um Herrn Schäfer mit Team für die rechtzeitige Einbringung des Haushalts trotz schwieriger Umstände.

Inwiefern uns die Auswirkungen der Pandemie über das Jahr 2022 hinaus finanziell belasten werden, wird sich erst noch weisen. Wir sollten deshalb unseren Haushalt bewusst auf Sicht fahren. Gleichzeitig besteht aber auch in der Krise frei nach Wolfgang Schäuble keine Notwendigkeit für dauerhaften Pessimismus. Ich möchte insofern schließen mit einem Zitat der neuen Image-Kampagne des Landes Baden-Württemberg – „The Länd“, in der es heißt:

„Wir können alles neu erfinden –

AUCH UNS SELBST.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen den notwendigen schwäbischen Tüftler- und Erfindergeist zur Lösung der anstehenden Herausforderungen sowie uns allen konstruktive Haushaltsberatungen.

Herzlichen Dank!