Haushaltsrede Freie Wähler in der Region Stuttgart, Fraktionsvorsitzender Andreas Hesky

Sehr geehrte Frau Dr. Schelling,
Herr Vorsitzender Bopp, liebe Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie es mich vornweg sagen: Wir Freien Wähler können mit dem vorgelegten Haushaltsplanentwurf leben. Unsere Hinweise, auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die das bezahlen müssen, wurden gehört und umgesetzt.
Eine oft gebrauchte Redewendung ist, dass „Corona wie ein Brennglas“ wirkt. Durch die Krise wurde so manches Schwelen zu einem Brand. Wer in den vergangenen Jahren genau hingesehen hat, ist nicht überrascht, dass in der Krise unsere bisherigen Herausforderungen stärker hervortreten.
Dazu gehören die Wohnungsnot, fehlende Gewerbeflächen und so manche unzureichende Infrastruktur. Themen, auf die wir Freien Wähler seit Jahren hinweisen.
53 % des Industrieumsatzes hängen am Fahrzeug. Und wir leben gut davon. Die Erträge fließen in unsere Kommunen und in die Region. Die Erfolge der Automobilindustrie bescherten sichere Arbeitsplätze. Die Politik der Regionalversammlung entscheidet mit, ob das so bleibt.
Wie stand vor kurzem in der Zeitung zu lesen: Den Beschäftigten ist der Job lieber als eine hohe Abfindung. Lassen Sie uns daher alles tun, um Arbeitsplätze zu sichern, denn auch das lehrt die Geschichte: Wer den Arbeitsplatz zu verlieren droht, ist anfällig für so manche falsche Heilsbotschaft.

Nachhaltige Region Stuttgart

Wir alle brauchen den Wandel zur „Nachhaltigen Region Stuttgart“. Wir müssen aber dabei die Menschen mitnehmen. Darauf haben doch eigentlich diejenigen das Patent angemeldet, die, seit sie mit an der Regierung sind, merken, dass Bürgerbeteiligung lohnenswert aber anstrengend sein kann – und manchmal auch „Grüne“ Ziele verhindert.
Wir Freien Wähler haben gemeinsam mit Grünen und CDU den Antrag auf eine nachhaltige Region unterzeichnet, weil es uns ernst ist. Es ist uns aber auch ernst, dafür zu sorgen, den Unternehmen eine erfolgreiche Transformation zu ermöglichen. Das Gelingen hängt an vielen Faktoren. Auf einige wichtige haben wir als Regionalversammlung Einfluss.
Für den Umbau der Wirtschaft, brauchen die Betriebe mindestens drei Dinge: Menschen, Flächen und Mittel.
Maschinen kann man kaufen. Arbeitskräfte, Fachkräfte, die sich in neuen Technologien auskennen, muss man suchen und für sich gewinnen. Unsere Region bietet dafür beste Voraussetzungen. Wir haben einen guten Mix aus Gewerbe, Wohnen und Natur. Trotz der großen Wirtschaftskraft ist eine hohe Lebensqualität vorhanden. Davon profitiert auch unser Tourismus.

Es fehlen Wohnungen und Gewerbeflächen

Wer zu uns als Tourist kommt, findet viele Möglichkeiten für ein zu Hause auf Zeit. Aber wie steht es um diejenigen, die länger bleiben wollen? „Leider ausgebucht“, um in der Tourismussprache zu bleiben. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Wir brauchen mehr neue und bezahlbare Wohnungen. Das ist eine soziale Verantwortung, auch gegenüber den Schwächeren in der Gesellschaft.
Wir müssen die Kommunen unterstützen, bei der Nachverdichtung genauso wie bei der Ausweisung neuer Flächen. Leider ist denjenigen, die Wohnungen bauen wollen, genauso wenig Applaus sicher, wie auch uns, die wir diese Forderung stellen. „Noch nie war er so wertvoll, wie heute“, der Umweltschutz, wenn es darum geht, die eigene freie Aussicht und sich vor lästigen Nachbarn zu schützen.
Keinen Deut besser sieht es bei Gewerbeflächen aus. Wir alle wollen, dass der „Innovationspark Künstliche Intelligenz“ in die Region Stuttgart kommt. Aber wohin? Haben wir Flächenbevorratung betrieben? Sind die Pläne in der Schublade, um nun unwiderstehliche Angebote machen zu können? Gleiches gilt für andere Innovationstechnologien, die in der Region heimisch werden sollen.
Der Strukturwandel ist in vollem Gange. Und es ist ein Irrglaube, dass Transformation ohne Flächen für neuen Technologien möglich ist. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Technologie, mit der unsere Motorenbauer weltweit an der Spitze stehen, auch eine Zukunft hat.
Leider meinen manche, alles unternehmen zu müssen, diese Schlüsseltechnologie zu vernichten. Da wünsche ich mir auch eine Transformation – im Denken. Der Motor ist nicht das Problem. Er sichert Arbeitsplätze und Wohlstand. Das Erdöl ist es. Wir brauchen synthetische und erneuerbare Kraftstoffe, um vom fossilen zum nachhaltigen Verbrenner zu kommen.
Wenn das gelingt, gelingt auch die Transformation im Antriebsstrang, weil dann die Mittel für Forschung und Entwicklung vorhanden sind.

Nachhaltige Mobilität

Lassen Sie uns gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Region Stuttgart zur Musterregion der nachhaltigen Mobilität entwickelt. Wir brauchen weiterhin das produzierende Gewerbe. Dienstleistung und Handel allein sind für unseren Wohlstand nicht ausreichend.
Manche Mitmenschen befinden sich noch in der Komfortzone, weil sie sagen: „Nichts verändern, mir reicht es noch raus“. Das gilt auch für so manchen Gemeinderat, der ein Gewerbe- oder Wohngebiet ablehnt mit der Begründung: „Wir haben genug!“ Das steht in krassem Widerspruch zur Forderung einer generationengerechten Politik. Wir wollen, dass auch nachfolgende Generationen in dieser Region leben und arbeiten können.

Hohe finanzielle Belastungen

Wir sollten uns darauf gefasst machen, dass der Wind schärfer weht, nach Auslaufen der Rettungsschirme, des Kurzarbeitergeldes oder der Pflicht, eine Insolvenz anzumelden.
Ob wir auch künftig „genug“ haben, wird sich weisen. Lassen Sie uns doch unsere Kräfte bündeln, wie wir das erfolgreich in den vergangenen Jahren bei vielen Themen getan haben.
Das zeigt sich gerade auch in unserem Kerngebiet, dem ÖPNV. Unsere gemeinsamen Beschlüsse können sich sehen lassen. Die Investitionsoffensive „Infrastruktur S-Bahn“ und „Schienenknoten Stuttgart“ ist dafür ein deutlicher Beweis. Nur wenige Stichworte: 15 Min. Takt in der Hauptverkehrszeit, Einführung von ETCS und die Beschaffung von 58 neuen S-Bahn-Fahrzeugen sowie die „Große Wendlinger Kurve“ und die S-Bahn nach Nürtingen.
Das sind Investitionen mit weit über einer Milliarde, die in unsere Verantwortung fallen.
Die ersten Zahlen davon lassen sich im nächsten Haushalt besichtigen:
Der Aufwand für den Betrieb der S-Bahn wird bis 2024 auf über 137 Mio. € steigen. Trotz der Regionalisierungsmittel ist der Eigenanteil beträchtlich.
Auch dürfen wir den Schuldenstand nicht aus den Augen verlieren, der in den nächsten Jahren auf über 400 Mio. € klettert.
Denjenigen, die meinen, Kredite sind doch gerade günstig, sei zugerufen, dass sie auch getilgt werden müssen. Ein lästiger Schönheitsfehler. Angesichts der immensen Investitionen steigt die Verkehrsumlage deutlich. Ob das im Haushalt der Kommunen oder in den Kreishaushalten schon abgebildet ist, wagen wir zu bezweifeln.
Das alles in einer Zeit, in der wir, Rettungsschirme hin oder her, die Auswirkungen der Corona-Krise auf die kommunalen Haushalte noch nicht kennen.

Rettungsschirm für den ÖPNV auch 2021

Keine Frage! Wir Freien Wähler stehen zu den Beschlüssen im ÖPNV. Wir wollen aber in diesen ungewissen Zeiten neue Verpflichtungen nur mit äußerster Vorsicht angehen. Es steht zu befürchten, dass Corona den ÖPNV – sowohl was die Fahrgastzahlen als auch die Finanzierung betrifft – von Grund auf verändern wird. Die Fahrgastzahlen im VVS Gebiet sind im ersten Halbjahr um ein Drittel eingebrochen. Die Einnahmen werden deutlich sinken.
Dieses Jahr wirkt der Rettungsschirm. Ob es diesen auch im Jahr 2021 geben wird, kann im Augenblick noch nicht gesagt werden. Sicher ist aber, dass der ÖPNV ihn braucht.
Die Einnahmeentwicklung wird weiterhin deutlich unter dem Niveau „vor Corona“ liegen. Dazu tragen Kurzarbeit, Home-Office, der Wegfall von Großveranstaltungen oder Online-Vorlesungen an den Hochschulen bei. Für den ÖPNV werden auch im nächsten Jahr in erheblichem Umfang öffentliche Mittel benötigt.
Wir regen daher eine Resolution an, Bund und Land aufzufordern, sich auch im nächsten Jahr hinter die Kommunen und Kreise und den ÖPNV zu stellen, und den Rettungs-schirm über das Jahresende hinaus aufgespannt zu lassen.

Verbesserung des Angebots statt Verzicht auf Tarifanpassung

Und wir kommen auch nicht um eine Fortschreibung des Gemeinschaftstarifs herum. Der vom VVS ermittelten Kostensteigerung müssen wir uns stellen. Da hilft auch das Ange-bot des Verkehrsministers nichts. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern unmöglich.
Die pressewirksame Darstellung der Wohltaten unterschlägt, dass der Verzicht auf Ein-nahmen jedes Jahr in der Kasse zu spüren wäre, mit steigender Tendenz. Und ab 2022 würden die Kommunen damit allein gelassen. Eine politische Schaunummer, die man nur mit dem Landtagswahlkampf erklären kann.
Meine Fraktion steht dazu, dass jetzt nicht die Zeit ist, neue dauerhafte Belastungen ein-zugehen, zumal wir im ÖPNV noch eine Bugwelle aus den letzten unterlassenen Tariferhöhungen vor uns herschieben.
Wir bleiben uns auch in der Antwort auf die Frage treu: „Was nützt dem ÖPNV mehr? Ein besseres Angebot oder eingefrorene Tarife?“. Die Tariferhöhung ist bei der einzelnen Fahrkarte kaum spürbar, die beschlossenen Verbesserungen allemal.

Vielgestaltige Mobilität

Treu bleiben wir Freien Wähler uns auch in der Ansage, dass wir die Mobilität als ein Thema der Gegenwart und Zukunft sehen. Daher unterstützen wir jede Art der Mobilität, ideologiefrei. Der Individualverkehr mit dem LKW und PKW hat genauso eine Berechtigung wie Bus und Bahn oder Fußgänger und Fahrrad.
Dass wir mit dieser Haltung in guter Gesellschaft sind, hat sogar der Faktencheck zum Nord-Ost-Ring bewiesen. Sehr weit vorn steht der bemerkenswerte Satz: „Radverkehr sei zwar besser als Autoverkehr, es sei aber utopisch anzunehmen, dass man mit dem Radverkehr den Autoverkehr um 20 Prozent reduziert“.
Nachdem meine Fraktion nicht das Gedankengut pflegt, alles mit Geboten und Verboten regeln zu wollen, sondern den Menschen zutraut, Freiheit und verantwortliches Handeln unter einen Hut zu bringen, werden wir uns dafür einsetzen, weiterhin Mobilität zu ermöglichen. Nachhaltig, ökologisch, ökonomisch und sozial.

Haushalt 2021 ist eine gute Grundlage

Wir sehen im Haushaltsplanentwurf 2021 eine gute Grundlage für die anstehenden Bera-tungen. Auf diese freuen wir uns.