Redebeitrag der Fraktion der „Freien Wähler“ anlässlich der Haushaltsberatungen zum Haushalt 2023 – gehalten von Kreisrat Ian Schölzel

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Sigel,

sehr geehrter Herr Finanzdezernent Schäfer,

liebe Kolleginnen und Kollegen des Kreistags,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

unser Finanzdezernent hat den vorliegenden Haushaltsplanentwurf bei der Ein­bringung als „herausfordernd“ bezeichnet und augenzwinkernd angemerkt, dass er sich auf die Beratung wirklich freuen würde… ich gebe zu, in unserer Fraktion hielt sich die Freude, vor allem auch wegen der signifikant steigenden Kreisumlage sehr in Grenzen.

Riesig gefreut haben wir uns allerdings über die Worte unseres Landrats, sich der Wiederwahl im nächsten Jahr zu stellen. Anders als unserem VfB Stutt­gart, der in den letzten Wochen einmal mehr einen neuen Trainer sucht – oder auch nicht, wer weiß das schon so genau – bleibt uns also glücklicherweise die Bildung einer Suchkommission erspart. Wir Freien Wähler unterstützen Sie, lieber Herr Dr. Sigel, einmütig.

In Zeiten in denen Begriffe, wie die Bazooka, der Doppel-Wumms oder auch die Zeiten-Wende Konjunktur haben, dürfen wir uns heute also mit einem Haus­haltsplanentwurf fürs Jahr 2023 beschäftigen, der es wahrlich in sich hat! Er ist geprägt von der allgemeinen Unsicherheit, den gesamtwirtschaftlichen Risiken, dem schrecklichen Kriegs- und damit verbundenen Fluchtgeschehen, der Energiekrise – und einer immer noch grassierenden, aber leicht in Ver­gessenheit geratenen, Pandemie.

Das vorliegende Zahlenwerk ist aber vor allem auch davon geprägt, dass Bund und Land sich immer mehr aus der finanziellen Verantwortung neh­men. Eine Vielzahl von Aufgaben wird mit offener Rechnung auf die kommu­na­le Seite abgewälzt – die dann schauen muss, wie sie diese Aufgaben personell und finanziell stemmt. Das vielfach gepriesene Konnexitätsprinzip ist dabei völlig aus den Fugen geraten. Schon lange gilt nicht mehr das Prinzip, „wer bestellt, der bezahlt“.

Und dieses Dilemma zeigt der vorliegende Haushaltsplanentwurf durch eine Unterfinanzierung etwa im Sozialbereich, der Flüchtlingsunterbringung, dem ÖPNV oder den Kliniken schonungslos auf. Richten sollen es am Ende wieder einmal mehr die Städte und Gemeinden, die dieses Delta mit einer sehr viel höheren Kreisumlage schultern sollen. Dabei trifft es die Kommunen 2023 in voller Wucht.

Der Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags, Steffen Jäger, hat vor wenigen Wochen ein Positionspapier mit der Überschrift: „Belastungs­grenze überschritten“, veröffentlicht. Er zeigt darin auf, dass die Aufgabenfülle staatlicherseits so nicht mehr ohne Weiteres geleistet werden kann. In einem Brandbrief an den Ministerpräsidenten, der den Titel trägt: „In Sorge um unser Land“, haben Ver­treter der Kommunal- und Wirtschaftsverbände diesen Be­fund nochmals ver­stärkt. Es heißt darin: Die Zeiten eines ungebremsten „Drauf­sattelns“ bei Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungs­zusagen sei vorbei. Es müsse de­finiert werden, was vorrangig ist und was noch finanziert werden kann.

Wenn wir die Ausgabensteigerungen im vorliegenden Haushaltsplanentwurf sehen, ist eines klar: diesem Brandbrief müssen dring­end Taten folgen, wollen wir uns für die Zukunft Finanzierungs- und damit auch v. a. Gestaltungsspiel­räume erhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

aufgrund der schwierigen Haushaltslage haben wir uns in der Fraktion mit der Frage beschäftigt, ob es gegebenenfalls Sinn machen würde unser – von uns mitgetragenes – Immobilienkonzept, etwa in punkto Altbau, zu strecken. Von An­fang an wurde in diesem Zusammenhang ja von einem „Fahren auf Sicht“ ge­sproch­en. Auch stellt sich für uns die Frage, ob es angesichts der schwieri­gen Haushaltslage nicht angebracht wäre, die von uns grundsätzlich für gut und richtig geheißene, fortlaufende Gebäudeunterhaltung zeitlich etwas zu schieben. In vielen Städten und Gemeinden sieht das ja nicht anders aus.

Intensive Gedanken haben wir uns auch zu den Personalkosten gemacht, die gemeinhin einen Großteil der Ausgabenseite ausmachen. In 2023 betragen die Personalaufwendungen insgesamt sage und schreibe 98,5 Mio. Euro. Klar ist für uns deshalb, dass wir eine stete Aufgabenkritik und –analyse einfordern und dort, wo sich Einsparpotentiale im Personalbereich ergeben, diese auch ausgeschöpft werden. Da aber Stellen bekanntermaßen den Aufgaben folgen, bleibt oftmals jedoch keine Wahl, als personell zu reagieren. Von daher kann die Stellenmehrung mit 0,8 % im nächsten Haushaltsjahr als durchaus moderat bezeichnet werden.

Im Übrigen gewinnt die Personalgewinnung, -bindung und –entwicklung immer mehr an Bedeutung. Der Fachkräftemangel ist mittlerweile in allen Bereichen des öffentlichen Sektors angelangt. Von daher ist es von großer Bedeutung, die Landkreisverwaltung als attraktiven Arbeitgeber fortzuentwickeln. Dazu passt die Idee, eine eigene „Landratsamts-Kita“, wenn man so will, zu etablie­ren. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt so kein bloßes Lippenbe-kenntnis, sondern erfährt hierdurch eine praktische Umsetzung. Das Tiger-Pro­jekt unterstützen wir daher aus voller Überzeugung und beantragen, dieses zur Attraktivierung des Kreises als Arbeitgeber auch auf die anderen Standorte und auch auf die kreiseigenen Gesellschaften auszuweiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

der vorliegende Haushaltsplanentwurf wird auch durch die hohe Zahl der Flücht­linge, die vor allem dem Kriegsgeschehen inmitten von Europa entflieh­en, geprägt. Mittlerweile haben 5.000 ukrainische Flüchtlinge Zuflucht im Kreis gefunden. Viele davon in privaten Unterkünften, wofür wir unserer Bürger­schaft sehr dankbar sein können. Die Unterbringung der Geflüchteten gestaltet sich aber immer schwieriger, da die Kapazitäten vielerorts schon völlig ausgeschöpft sind. Wir sind uns sicher einig darin, dass die Hallenbelegungen, auf die in vielen Fällen aus der schieren Not heraus zurückgegriffen werden muss, nicht die Lösung sein kann.

Wir müssen uns alle darauf einstellen, dass die Flüchtlingsunterbringung und das Integrationsmanagement Daueraufgaben sein werden. Und wir tun gut da­ran, auf Kreisebene im Verbund mit den Kommunen hier für die Zukunft über Lösungsoptionen nachzudenken, ggfs. auch über eine Art Mini-Leas, die eine Puffer-Wirkung einnehmen und die kommunale Familie insgesamt damit ent­lasten könnten.

Eines der wichtigsten Aufgabenfelder ist und bleibt der Klimaschutz. Von da­her sehen wir Freien Wähler das heute zur Beschlussfassung anstehende, Klimaschutz-Handlungsprogramm als wichtige Basis, um das ambitionierte Ziel des Kreises, 2035 klimaneutral zu werden, in die Tat umzusetzen. Wir stehen auch zu diesem ehrgeizigen, wenn auch nicht garantierten Zeitplan, was durch den Zusatz „spätestens 2040“ verdeutlicht wird.

Klar ist für uns, dass Klimaschutz nur als Gemeinschaftswerk gelingen kann: hier ist die öffentliche Hand, der Kreis, die Kommunen, genauso gefordert, wie es unsere Unternehmungen und jede bzw. jeder einzelne von uns Bürgerinnen und Bürgern ist.

Klar ist auch: die Zeit der Analysen, Untersuchungen, Beratungen etc. muss zu Ende sein. Was jetzt zählt, sind die Kilowatt-Peak auf den Dächern, oder den geeigneten Freiflächen. Da ist es ganz egal, wer die Anlagen am Ende aufs Dach oder die Fläche bringt, ob eine kreiseigene Gesellschaft, Energie­versorger oder unsere erfolgreichen Energiegenossenschaften im Kreis.

Wir Freien Wähler sagen auch Ja zum weiteren Ausbau der Windkraft im Kreis. Hier drängen wir darauf, dass die Verfahrensabläufe beschleunigt wer­den, die Task Force, deren Prämisse lauten muss: „wie können wir ein Vor­haben zum Erfolg führen“, stimmt uns hier aber zuversichtlich.

Unser Klimaschutz-Handlungsprogramm trägt nicht den Titel „Miteinander. Diskutieren. Jetzt.“ Vielmehr ist hier vom „Handeln“ die Rede. Kommen wir also raus aus dem Diskutieren und rein in die Umsetzung!

Volle Fahrt aufgenommen hat der ÖPNV. Führt man sich den Haushaltsansatz für den ÖPNV vor Augen – und vergegenwärtigt man sich, dass dieser in den letzten fünf Jahren sich auf jetzt fast 40 Mio. Euro quasi verdoppelt hat, dann ist das wirklich gewaltig. Natürlich verbirgt sich dahinter der politische Wille zur Mobilitätswende. Auch die gesteckten Klimaschutzziele sind darin abgebildet. Und so richtig diese Ziele auch sind – und wir Freien Wähler stehen komplett dahinter – muss man sich auch immer klarmachen, dass diese Mittel woan­ders fehlen. Durchaus darf man deshalb kritisch die stetig steigenden Kosten und die teils sinkenden Fahrgastzahlen hinterfragen. Sicher hier hat Corona seinen Teil dazu beigetragen. Wir müssen aber auch den Wandel in der Ar­beitswelt sehen. Mehr Homeoffice bedeutet unterm Strich eben auch ein Weg­fall von potentiellen Fahrgästen. Deshalb sollte immer auch ein bedarfsge­rech­ter Ausbau im Blick gehalten werden.

Sehr begrüßt haben wir Freien Wähler das landesweite Jugendticket, das 365 €-Ticket. Es stellt ein attraktives Angebot für die junge Generation dar. Auch das 49 € Ticket, das sogenannte Deutschlandticket heißen wir für gut – aber wie bei so vielem stellt sich auch hierzu wieder einmal die Frage: wer dafür mittel- bzw. langfristig aufkommen wird.

Kommen wir von Bus und Bahn zum Fahrrad: Hinsichtlich der Fahrradinfra­struk­tur sind wir im Kreis, mit den geplanten bzw. in der Machbarkeitsstudie befindlichen Fahrradschnellwegen auf dem richtigen Kurs, man könnte fast sagen, hier haben wir uns das gelbe Trikot übergestreift. Dabei dürfen wir aber auch das sonstige Radwegenetz und die dort vorhandenen Lücken nicht aus den Augen verlieren, weshalb wir hierzu einen Berichtsantrag im entsprechen­den Ausschuss stellen. Der von unserer Fraktion stets positiv begleitete Maß­nah­­menplan für Kreisstraßen und Radwege zeigt mittlerweile die gewünschte Wir­kung, weshalb wir es als folgerichtig erachten, dass dieser grundsätzlich fortgesetzt wird. Aufgrund der finanziellen Lage muss aber auch hier ggfs. über eine zeitliche Streckung nachgedacht werden.

Ich bleibe noch kurz beim Thema Straße und wende mich der Verkehrsüber­wachung zu, die für die Sicherheit im Straßenverkehr unerlässlich ist. Der Kreis ist als Straßenverkehrsbehörde in vielen Kommunen für diese Aufgabe zuständig – hat dafür aber in Summe viel zu wenige Geräte. Eine konsequente Verkehrsüberwachung dient letztlich aber der Sicherheit, der Geschwindig­keitsr­eduzierung und der Lärmminimierung. Wir Freien Wähler beantragen daher, dass der Landkreis verstärkt auch mobile Blitzer, etwa sogenannte Enforcement Trailer, in der Fläche einsetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Wohnraum zu schaffen, möglichst bezahlbar, heißt eine der wichtigen sozial­politi­schen Aufgaben unserer Zeit. Dabei braucht es Wohnraum für die hier in der Wirtschaftsregion dringend benötigten Fachkräfte, genauso, wie es etwa Wohnraum für die vielen geflüchteten Menschen braucht, die für sich hier eine Bleibeperspektive sehen. Umso glücklicher können wir uns schätzen, dass wir mit unserer Kreisbaugesellschaft ein gut etabliertes, schlagkräftiges Unterneh­men haben, mit dem wir unser avisiertes Ausbauprogramm schaffen werden, nämlich zusätzliche 500 Wohnungen bis 2027. Das sehen wir Freien Wähler als wichtigen Beitrag unseres Kreises zur viel zitierten Wohnraum-Offensive in „the Länd“ an. Positiv heißen wir es, dass die Kreisbau dabei auch vermehrt in der Fläche, durchaus auch in kleineren Kommunen tätig wird, um Lösungen für den Bau sozialer Mietwohnungen zu finden.

Last, but not least komme ich zu den Rems-Murr-Kliniken, die sich im vor uns liegenden Haushaltsjahr einmal mehr als finanzielles Sorgenkind des Kreises erweisen. Für 2023 sind Klinikzuweisungen in Höhe von 18,3 Mio. Euro vorge­sehen, die für sich betrachtet 2,5 Prozentpunkte der Kreisumlage ausmachen.

Die Folgen der Corona-Pandemie und das damit verbundene geringere Pa­tien­tenaufkommen machen den Kliniken weiter massiv zu schaffen, hinzu kom­men verschärfende, externe Faktoren. Die finanziellen Nöte haben sich dermaßen zugespitzt, dass der Landrat in einem Appell an die Bundes- und Landespolitik sogar von der Alarmstufe rot gesprochen hat. Für uns ist klar, dass eine flächendeckende, leistungsfähige Gesundheitsversorgung, das hat ja gerade auch die Pandemie gezeigt, sichergestellt werden muss. Unsere Rems-Murr-Kliniken sind für uns Freie Wähler feste Säulen und ein unabding­barer Teil der Daseinsvorsorge.

An dem vom Kreistag beschlossenen Ziel, das Defizit der Kliniken zu ver­ring­ern, muss dabei allerdings festgehalten werden. Es war eines der wichtigsten Ziele und eine maßgebliche Begründung für den Klinikneubau. Wir halten es nach wie vor für möglich, das jährliche Defizit zu verringern, auch wenn die Zielsetzung und der Zeitkorridor aufgrund der aktuellen Lage sicherlich ange­passt werden muss. Um in der Außenwahrnehmung weiter punkten zu könn­en, re­gen wir an, uns um eine Zertifizierung als „nachhaltiges Krankenhaus“ zu bemühen.

Sehr geehrter Herr Landrat, liebe Kolleginnen und Kollegen,

der vorliegende Haushaltsplanentwurf sieht einen Verzicht des Landkreises auf seinen Anteil aus dem verbesserten Jahresergebnis 2021 und eine Rück­lagenentnahme vor. Zusätzlich ist ein Fehlbetragsvortrag auf die Folgejahre zum Aus­gleich des Haushalts mit eingepreist. Alles in allem schließt der Ent­wurf mit einem negativen Ergebnis. Mit diesen Ansätzen wird der Haushalt für genehmigungsfähig erachtet.

Des­halb sind wir Freien Wähler der Ansicht, dass etwaige Verbesserungen, die sich durch Rettungsschirme oder sonstige Zuweisungen ergeben, auch nicht der Schmälerung dieser Ansätze zugutekommen sollten, sondern der Minderung des Kreisumlagehebesatzes.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Rems-Murr-Kreises im nächsten Jahr wurde ein Projektorchester unter der Leitung des Kreiskämmerers ge­bil­det. Bei Orchestern heißt es ja, dass diese nur harmonieren, wenn die erste und die letzte Geige im Einklang sind. Übertragen auf den Kreis und die Städte und Gemeinden könnte die aufgezeigte Verfahrensweise einen solchen Einklang aus Sicht der Freien Wähler bewirken, da der vorgeschlagene Kreis­um­lage­hebesatz i. H. v. 33,5 % in der aktuellen Phase eine ganz erhebliche Belastung für unsere Kommunen, die sich in schwierigem Fahrwasser befinden, darstellt. Hier sollten wir uns solidarisch zeigen.

Zum Abschluss möchte ich mich im Namen der Freien Wähler bei Ihnen, lieber Herr Landrat, für Ihr Engagement für unseren Landkreis be­danken. Unser Dank gilt auch dem Kreiskämmerei-Team, sowie der gesamten Mitarbeiter­schaft für ihren tollen Einsatz. Ihnen, liebe Kollegin­nen und Kollegen danke ich für das gute, konstruktive Miteinander!

Auf weiterhin gute Haushaltsberatungen. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.