Redebeitrag der Freien Wähler zum Kreishaushalt 2024 von Kreisrat und Oberbürgermeister Michael Scharmann

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Sigel,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Kreistags,
sehr geehrte Damen und Herren der Kreisverwaltung,
sehr geehrte Vertreter der Presse,
sehr geehrte Damen und Herren,

Rekordeinnahmen, sinkende Kreditzinsen, ausreichend und qualifiziertes Personal, Bürokratieabbau, Wirtschaftsboom, funktionierende Lieferketten, Frieden….

Dann könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.

Die Realität sieht leider komplett anders aus, sie ist weiterhin geprägt von der allgemeinen Unsicherheit, den gesamtwirtschaftlichen Risiken, weiteren Konflikt- und Kriegsherden und den damit verbundenen Fluchtgeschehen. Wir sind – nicht zuletzt durch die Energiekrise – konfrontiert mit hohen Inflationsraten, damit einhergehend steigenden Kreditzinsen, weiterhin hohen Baupreisen, den Folgen des immer gravierenderen Fachkräftemangels, Lieferengpässe, explodierende Personalkosten, sinkende Steuereinnahmen – und was speziell für die Landkreise mehr als erschwerend dazu kommt -eine nicht auskömmliche Krankenhausfinanzierung.

Die Zeiten, in denen unsere Haushalte geplant und aufgestellt werden, sind – zumindest aktuell – alles andere als rosig.
Egal ob bei der öffentlichen Hand, in den Unternehmen oder im privaten Umfeld, das Geld wird knapp, Auflagen werden immer höher und komplizierter, die Wirtschaft
tritt auf der Stelle, die Zukunftsaussichten sind ziemlich eingetrübt – wir müssen uns klar machen, dass die Jahre der steigenden Steuereinnahmen vorbei sind und wir
uns dieser neuen Realität bewusst werden müssen.

Gleichzeitig mehren sich kontinuierlich die Aufgaben für Kreis und Kommunen.

Ich könnte die Haushaltsrede aus dem letzten Jahr eigentlich 1 zu 1 wiederholen, sie hat nichts an Aktualität verloren – ganz im Gegenteil.

Das vielfach gepriesene Konnexitätsprinzip ist schon lange aus den Fugen geraten – schon lange gilt nicht mehr das Prinzip – „wer bestellt, bezahlt“!

Und dies trifft nicht nur auf die Bereiche der Aufnahme, Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen oder auf den gesetzlichen Anspruch der
Ganztagesbetreuung zu – die Liste ließe sich noch beliebig erweitern.

Der Präsident des Gemeindetags, Steffen Jäger, hat anlässlich des 50. Jubiläums des Gemeindetages Klartext gesprochen und festgestellt, dass die Summe der
staatlichen Leistungsversprechen die staatliche Leistungsfähigkeit übersteigt und gefordert, dass die Zeiten von zusätzlichen Standards, Rechtsansprüchen und
staatlichen Leistungszusagen vorbei sein müssen – stattdessen brauche es eine politische Kultur, in der nur so viel versprochen wird, wie auch geleistet werden kann.
Für ihn sind die Grenzen des Machbaren vielerorts bereits überschritten. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir Freien Wähler sind ja dafür bekannt, mit Leidenschaft über die Höhe der Kreisumlage zu diskutieren – ja manchmal auch zu kämpfen. In diesem Jahr sieht
auf den ersten Blick alles völlig unproblematisch aus – die Kreisumlage wird, so sieht es der Verwaltungsvorschlag vor – trotz schwieriger Zeiten – um einen
Hebesatzpunkt auf 32,5% gesenkt.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Landkreis trotz dieser Senkung eine Rekordumlage von 259,789 Millionen EUR von den Städten und Gemeinden erhält.
Eine Rekordumlage in Zeiten, in denen negative ordentliche Ergebnisse im Haushaltsplan der Kommunen inzwischen zur Regel geworden sind, in Zeiten in
denen Überschüsse die absolute Ausnahme sind. Wir alle leben von der Substanz, die Liquidität schmilzt ab, die Verschuldung steigt stark an, die
Genehmigungsfähigkeit der Haushalte gerät in Gefahr. Aufgaben können nicht mehr erfüllt werden, Sanierungsstaus können nicht abgebaut werden – das Gegenteil ist
leider oftmals der Fall.

Dies müssen wir alle – Verwaltung, Kreistag aber auch Bürgerschaft bei unseren Wünschen, unseren Anträgen und unseren Beschlüssen zukünftig wieder stärker
berücksichtigen.

Sehr geehrte Kreistags-Kolleginnen und Kollegen,

klar ist aber auch, dass es sich bei einem Großteil der Aufgaben, die wir im Kreis erledigen entweder um Pflichtaufgaben oder um wichtige Aufgaben der
Daseinsvorsorge handelt. Und somit relativ wenig Möglichkeiten für Einsparungen vorhanden sind.

Doch wenn die komplette Kreisumlage bereits zum 4. Mal in Folge nicht ausreicht, den Nettosozialaufwand des Sozialetats zu decken, wird schnell klar, dass hier
seitens der Bundes- und Landespolitik deutlich nachgesteuert werden muss.

Aber auch der ÖPNV stellt mit Blick auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, sowie bei der Betrachtung der Finanzen eine bedeutsame Rolle im Rems-Murr-Kreis. Die
Anforderungen an einen funktionierenden ÖPNV sind im Verdichtungsbereich der sechs Großen Kreisstädte andere, als im Ländlichen Raum. Geht es im Ländlichen
Raum in erster Linie darum, verlässliche Verbindungen für Pendler und Schüler bereitzustellen, trägt der ÖPNV im städtischen Bereich mit seiner engen Taktung
spürbar zu einer Reduzierung des Individualverkehrs bei und entlastet damit auch
die Anwohnerinnen und Anwohner.

Die Qualität der Verbindungen, sowohl im Ländlichen Raum, wie auch im Verdichtungsbereich, lassen wir uns im Rems-Murr-Kreis einiges kosten. Knapp 40
Millionen Euro Zuschuss bedarf es jährlich, um den aktuellen Qualitätsstandard auch in Zukunft zu halten. Mit Blick auf die kommenden Ausschreibungen verschiedener
Linienbündel steht zu befürchten, dass dieser Betrag weiter ansteigt. Neben gestiegenen Energiekosten trägt auch die Clean Vehicle Direktive, eine Richtlinie welche die Quoten von emissionsarmen und sauberen Fahrzeugen im ÖPNV regelt, zu steigenden Kosten im ÖPNV bei.

Untersuchungen zeigen, dass den Bürgerinnen und Bürgern mit Blick auf das ÖPNV Angebot vor allem drei Dinge wichtig sind: Die Qualität der Verbindungen, die
Pünktlichkeit und der Preis. Daher plädieren wir dafür, die CVD nur im gesetzlich erforderlichen Rahmen umzusetzen und eventuell verfügbare zusätzliche Mittel lieber für eine Verbesserung der Verbindungen einzusetzen.

Diese drei Punkte – Qualität der Verbindungen, die Pünktlichkeit und der Preis – sind natürlich nicht nur in Sachen Busverbindungen die wichtigsten Forderungen unserer Bürgerinnen und Bürger – es sind diese drei Punkte, die sich – neben dem Ausbau der Barrierefreiheit der Haltestellen – 1:1 auf die Bahn und den gesamten Schienenverkehr übertragen lassen. Hier sehen wir die Bahn in der Pflicht, deutlich nachzulegen und dies nicht nur bei den ständig steigenden Fahrpreisen.

Eine weitere große Herausforderung für den Landkreis sind unsere Rems-Murr-Kliniken mit den Standorten Winnenden und Schorndorf – um es gleich vorweg zu
nehmen – die Freien Wähler stehen zu beiden Standorten und sind sich sicher, dass dort in allen Bereichen hervorragende und unverzichtbare Arbeit geleistet wird. Dies
wird nicht zuletzt durch die hohe Investitionsförderung für den Ausbau des Standorts Schorndorf belegt.

Die Rahmenbedingungen sind jedoch auch hier von Unsicherheit und ständigen Veränderungen geprägt: Ambulantisierung, Fallpauschalen, Landesbasisfallwert.

Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht auch in den Jahren 2024-2027 immer weiter auseinander. Für das Jahr 2024 kalkuliert der Kreis mit einem Verlust
von 20,8 Millionen EUR, dabei sind weitere Risiken in Höhe von 13,8 Millionen EUR noch gar nicht eingepreist.

Ab 2027/28 soll im Zuge der Umsetzung der Krankenhausreform eine Verbesserung eintreten, welche im Ergebnis mittelfristig ein Defizit von max. 10 Mio. € jährlich
beschert. Es bleibt zu hoffen, dass die Rems-Murr-Kliniken weiterhin zu den Gewinnern der Krankenhausreform zählen. Angesichts eines aus Steuermitteln zu
Finanzierenden langfristigen Defizits von jährlich 10 Mio. € wird es weiterhin Aufgabe der Kreispolitik sein, die Entwicklung kritisch im Auge zu behalten.

Für uns Freie Wähler bedeutet dies, dass sich die Kapazitäten und Kompetenzen der Rems-Murr-Kliniken am Bedarf der Menschen im Rems-Murr-Kreis orientiert,
sich die Kliniken auf die medizinischen Disziplinen konzentrieren und spezialisieren, welche sich nicht über eine Ambulantisierung kostengünstiger abbilden lassen,
die Rems-Murr-Kliniken mit den Standorten Winnenden und Schorndorf als ein Klinikum mit einer Gesamtkonzeption begriffen werden
und weiterhin eine realistische Finanz- und Erfolgsplanung betrieben wird, welche es dem Gesellschafter ermöglicht im Bedarfsfall steuernd einzugreifen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ebenfalls wieder in den Mittelpunkt unserer Entscheidungen und Planungen gerückt – sei es durch Extremwetterereignisse, durch weltpolitische Bedrohungen oder
Energieengpässen ist das weitumfassende Thema „Katastrophenschutz“. Vor wenigen Jahren hatte man – wenn überhaupt – vom Rückbau von Anlagen wie
Sirenensystemen oder Schutzräumen gesprochen – heute geht es eher darum, solche Systeme wieder in Betrieb zu nehmen oder neu zu installieren.

In diesem Zusammenhang ist auch das Starkregenrisikomanagement zu betrachten, welches sowohl im Landkreis als auch in den Städten und Gemeinden bereits
aufgestellt wurde oder aktuell geplant wird. Für einen wirkungsvollen Schutz bei Starkregenereignissen sind jedoch nicht nur Landkreis und Kommunen bei der Ertüchtigung der öffentlichen Infrastruktur gefragt. Auch Privatpersonen und Betriebe in den besonders gefährdeten Bereichen sind aufgefordert, ihre Gebäude durch geeignete Maßnahmen vor Starkregenereignissen
zu schützen.

Hierzu bedarf es einer kompetenten Beratung. Daher beantragen wir die Schaffung eines kreisweiten Kompetenzzentrums „Schutz vor Starkregenfolgen“. Über diese Stelle kann, gemeinsam mit einem Netzwerk entsprechender Fachbetriebe, eine zentrale Anlaufstelle zur Beratung eingerichtet werden. Das neu zu bildende Kompetenzzentrum „Schutz vor Starkregenfolgen“ könnte entweder im Rahmen der Neustrukturierung bei der Energieagentur angesiedelt werden. Alternativ würde die Stabstelle Katastrophenschutz einen geeigneten Rahmen bieten. Zur Deckung der entstehenden Kosten, sofern das Projekt nicht mit bestehendem Personal umgesetzt werden kann, könnte eine Beratungsgebühr erhoben werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Bundesweit erfolgt aktuell die Umstellung der Kommunikation bei den nicht staatlichen Bevölkerungsschutz-Organisationen (DRK, Malteser, DLRG, etc.) vom
bestehenden analogen auf das künftige digitale Funknetz. In naher Zukunft soll vor diesem Hintergrund das analoge Funknetz nicht mehr fortgeführt werden. Diese
Umstellung verursacht auch bei den nicht staatlichen Bevölkerungsschutz  Organisationen sehr hohe Investitions- und Unterhaltungskosten.

Nachdem das ehrenamtliche System das Rückgrat des Bevölkerungsschutzes darstellt, in welchem die organisationseigenen Fahrzeuge der nicht staatlichen
Bevölkerungsschutz-Organisationen eine wichtige Rolle haben, würde eine Nichtausstattung dieser Fahrzeuge zu erheblichen Einschränkungen bei der
Bewältigung derartiger Schadenslagen führen.

Es wird daher beantragt, dass die Kreisverwaltung die Anzahl an organisationseigenen Fahrzeugen der nicht staatlichen Bevölkerungsschutzorganisationen im Rems-Murr-Kreis sowie die hierfür anfallenden einmaligen und laufenden Kosten dieser Fahrzeuge erhebt und darstellt sowie einen Vorschlag zur finanziellen Unterstützung der nicht staatlichen Bevölkerungsschutz-Organisationen bei Beschaffung und Betrieb der für die organisationseigenen Einsatzfahrzeuge erforderlichen Digitalfunkgeräte entwickelt.

Und auch unser nächster Antrag hat das Thema Bevölkerungsschutz und Kommunikation zum Inhalt.

Fällt flächendeckend der Strom über eine bestimmte Zeit aus, fallen früher oder später sowohl die Mobil- als auch die Festnetztelefone aus. Eine flächendeckende
Kommunikation – zwischen Landkreis und Kommunen – ist dann nicht mehr ohne weiteres möglich. Satellitentelefone, sind teuer – sowohl in der Anschaffung als auch
im Unterhalt. Eine weitere Alternative wäre der Aufbau eines Kommunikationsnetzes mit mobilen Kommunikationskoffern mit Batteriebetrieb. Da die Kommunikationseinheiten sowohl Sende-, Empfangs-, als auch über eine Relais Funktion verfügen, kann damit ein unabhängiges, landkreisweites Kommunikationsnetz aufgebaut werden. Daher stellen wir den Antrag, dass dieses Thema – inhaltlich aber auch kostentechnisch – durch die Stabstelle Katastrophenschutz aufgearbeitet wird und bei entsprechendem flächendeckendem Interesse der Kommunen die Umsetzung der Beschaffung über die Stabstelle Katastrophenschutz erfolgt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

auch wenn die Vorzeichen gerade nicht optimal sind, gibt es keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Der Landkreis und die Kommunen machen eine
hervorragende Arbeit – dies wird auch von den Bürgerinnen und Bürgern gesehen und wertgeschätzt. Und so, wie auch vergangene Krisen bewältigt wurden, wird uns
dies auch bei den aktuellen Herausforderungen gelingen. Gemeinsam, solidarisch, Hand in Hand. Denn genau dieses Miteinander von Landkreis, Städten und
Gemeinden zeichnet uns hier im Rems-Murr-Kreis aus.

Und so möchte ich mich im Namen der Freien Wähler bei Ihnen, lieber Herr Landrat Dr. Sigel – gemeinsam mit ihrem gesamten Team der Landkreisverwaltung – und
ganz speziell bei unserem Finanzdezernenten Herrn Peter Schäfer und Frau Kugler bedanken. Für Ihr Engagement, für Ihre Offenheit und für Ihren Einsatz.

Ich wünsche uns allen nun gute Haushaltsberatungen – vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.